Heute, 22.November 2023, ist der evangelische Buß- und Bettag.
Vor ca. 5 oder 6 Jahren hatte ein Beitrag im internet meine Aufmerksamkeit gewonnen.
Er hieß: „Der Pfaffe und die RAF“. Es war eine Sendung des RBB und die Autorin ist Silke Meyer.
Der Beitrag traf mich voll ins Herz
„Das ist ein Portrait über einen aufrichtigen Menschen“, dachte ich.
Menschen, wie Jesus Christus, Martin Luther King, der Theologe Gollwitzer, Osho, Drewermann, Simone de Beauvoir etc., sind für mich diejenigen, die der geistigen „kritischen Masse“ die in der dumpfen Masse verborgen ist, zur Geburt verhelfen können.
Rückschlüssig behaupte ich, dass diese geistig und intellektuell begabten Menschen, in denen sozusagen das Sein lebendig zirkuliert, ein Teil, vielleicht sogar das Ergebnis der „kritischen Masse“ sind. Sokrates Bedeutung besteht nicht allein in ihm selbst, sondern in dem Echo, dass er erzeugt hat. Sprechen und Hören sind ein Paar. Jemand kann sprechen, jemand kann hören.
Daß mit der Meinungsfreiheit ist ja gut gemeint…aber jetzt mal ehrlich: Wer hat Lust seine Meinung frei zu äußern, wenn mit Sanktionen und Diffamierungen zu rechnen ist.
Die freie Meinungsäußerung hat auch mit der Qualität der Geistesbildung zu tun und gilt für beide Seiten: Dem Sprechenden als auch dem Hörenden.
In der TCM- Traditionelle Chinesische Medizin – gehört das Sprechen zum Herzen.
Helmut Gollwitzer hatte das, was so wenig Menschen haben: Ein denkendes Herz.
Wenn das Denken im Herzen ist, dann ist das Denken und Sprechen wie Atmen.
Zurück zum Beitrag: Silke Meyer beleuchtet Gollwitzers Wirken in den Zeiträumen des Deutschen Nationalsozialismus als auch der Deutschen Studentenbewegung in den 60iger und 70iger Jahren.
Ich schreibe deshalb „Deutsch“, weil beides für mich zu dieser National-Identität gehört.
Besser ein kantiges Etwas als ein rundes Nichts
Mir wurde das Bild eines Menschen vermittelt, der bemüht war, im Gespräch mit den Menschen zu bleiben.
Drei Aussagen Gollwitzers in diesem Beitrag bewegen etwas in mir, das gelegentlich erstarrt.
„dass wir jeden Menschen, auch den menschlich verkrüppelten Kapitalisten und Faschisten als Menschen sehen sollen.“
Mit dieser Aussage bezieht er Haltung, er spricht aus, was andere nicht aussprechen können oder sich nicht trauen zu denken und auszusprechen.
„ dass eine Demokratie nur lebt, wenn sich die Bürger für sie einsetzen.“ Und das heißt für ihn: Mißtrauen gegen Obrigkeit und Kontrolle der Obrigkeit durch die Bürger.
„Zur Menschlichkeit gehört, dass man miteinander spricht, wenn man nicht aufeinander schießen will.“
Für mich ist er ein kantiges, echtes Etwas in einem Meer von runden Nichtsen, ein sprechender und tätiger Heiliger in der Masse der Scheinheiligen. Helmut Gollwitzer starb im Oktober 1993. Dass, was er ansprach in seiner Bußtagspredigt von 1938, ist heute genauso schwer und starr, wie damals. Er hat für mich eine tief im Sein verwurzelte Präsenz, die in dieser Welt in ihrer begrenzten Weltlichkeit zum Ausdruck kam. Das haben ganz wenige Menschen. Aus meiner Sicht ist Helmut Gollwitzer seinem Wesen nach radikal und das befreit ihn von Extremismus, Dogmatismus und Fundamentalismus. Er lebte sein Wesen und dadurch wurde er wesentlich, er ist ein Vorbild für mich.
Dank an Silke Meyer, die dieses Portrait geliefert hat. Für mich ein Erinnerungs-Funke in der gesellschaftlichen Demenz.
Erläuterungen zum Beitragsbild:
Ich habe versucht, eine Linie zu finden, die für mich das Wesen des Büßens und Betens verkörpert.
Ich fand heraus, dass die Geste des Kopf- und Blicksenkens, in Richtung meiner Füße, das unwillkürliche Eindringen der ablenkenden Aussenwelt behindert. Der Einblick (in mich) wird möglich. Zum Beten und Bitten sind die zum Handeln gemachten Hände nach oben gerichtet.
Im „Kluge“, dem etymologischen Wörterbuch, wird „Buße“ der Bedeutung nach der „Besserung“ und „beten“ dem „bitten“ zugeschrieben.
Wir sind begrenzte Menschen, wir irren, das gehört zum Menschsein, aus meiner Sicht.
Den Buß-und Bettag verstehe ich als Einkehr, als Bewußtwerdungs- und Integrationsmöglichkeit diverser Anteile in mir, mit denen ich mich nicht so gerne zeige, die ich abwehre.
Mit dieser Abwehr entsteht die Wand der Eitelkeit, von der man sagt, daß sie zuletzt einstürzt. Als Menschen jedoch können wir diese Mauer schon vorher bröckelig machen, indem wir Schritt für Schritt unseren Schatten integrieren.
„Ausnahmslos alle Menschen sind in den Schatten hineingeboren.“ denke ich und irgendwie erleichtert mich das, entspannt mein Nervensystem, befreit mich von der Idee, andere bekehren zu wollen oder mich schlechter oder besser zu fühlen als andere Menschen.
Ich bin stimmig mit ihnen oder ich bin es nicht.