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Was bleibt…

Nachruf auf eine Freundin, die fehlt

Ursprünglich hatte ich ein anderes Thema am Wickel, das mittelbar mit Trauer zu tun hatte aus meiner Sicht. Ich wollte über Konsolidierung schreiben.
Es ist anders gekommen.
Vor ein paar Tagen hat eine Nachricht einen starken Wellengang in mir ausgelöst.

Es ist der Abschied von einem Menschen, eine Freundin, die mir sehr nahestand.
Sie ist die liebste und nächste Freundin, die je in meinem Leben bisher vorkam.
Sie ist nicht mehr mit uns oder inmitten von uns, nirgendwo auf diesem Planeten.
Ich kann es nur so beschreiben, denn für mich ist sie noch da und wenn ich daran denke, dass sie nicht mehr hier ist, kann ich es kaum ertragen.

Was geht in mir vor?
Sie hat Licht in mein Leben gebracht oder anders ausgedrückt: Sie hat Bewußtheit in mein Leben gebracht.
Wenn ich im Schatten meiner Identität rumtapste, konnte sie Fragen stellen, die mich zur Weiterentwicklung führten.
Ein Beispiel: Damals befand ich mich in einer unerträglichen Partnerschaft. Frei gewählt, mich hat niemand gezwungen von außen, aber es sind ja die inneren Gestalten, die das äußere Theaterstück inszenieren.
In einem Gespräch sagte ich:
„Ich kann ihn nicht mehr ertragen“ und sie fragte mich: „Kannst Du Dich denn tragen ?“ Das war für mich der entscheidende Satz und er ist es noch bis heute.
Nichts ist so wie es scheint
Den Satz, „Nichts ist so wie es scheint“, habe ich zum ersten Mal aus ihrem Mund vernommen, als Selbstausdruck und nicht als Phrase. Er evozierte (hervorrufen) in mir „Ich will nicht wissen, was ich weiß.“

Ende der 80ger Jahre begann unsere Freundschaft.
Sie hatte 3 Phasen und bestand aus Zusammenkommen und wieder Auseinanderdriften.
Eigentlich sind es 4 Phasen, aber diese letzte war nicht mehr so intensiv.
In den Zwischenräumen hatten wir uns weiterentwickelt. Wir trafen uns immer „zufällig“ wieder. Dann begann ein neuer Abschnitt unserer Freundschaft.

Sie scheint wie eine Sonne auf Dein Horoskop.“
Einmal wollten wir einen Astrologie–Kurs belegen.
Um an dem Kurs teilnehmen zu können, wurden unsere Geburtsdaten verlangt. Für mich kein Thema, für sie schon. Sie sagte:“ Dann möchte ich auch die Daten des Kursleiters haben.“ Das war unser Unterschied. Mir wäre diese Frage im Leben nicht eingefallen und sie gefiel mir.
Der Kursleiter bekam die Daten und er sagte zu mir: „Sie scheint wie eine Sonne auf Dein Horoskop.“ Das kann ich nur bestätigen. So war´s.
Überall wo sie auftauchte, in der Schule, Universität, als studentische Aushilfskraft, als Kellnerin, Reiseleiterin, egal was sie machte, sie fiel auf und hinterließ eine Spur in den Menschen. Sie war nicht laut, sie war echt, fähig und präsent.

Mit einem goldenen Pfund
Sie hat Tiefe und eine angeborene Weisheit, sie nimmt mehr wahr als es üblich ist und entläßt ihr Wissen in ihr Sein.
Es gibt Menschen, die kommen mit einem goldenen Pfund auf die Welt. Sie gehört dazu.
Hochbegabt, menschlich und weltbewältigend. Eine außergewöhnliche Mischung für mich.
Mein Sehnen nach Tiefgang und ihr Tiefgang führten uns zusammen wie Schwestern.

Bist Du zu schwach…

Die 3. Phase brach ich ab, weil ich mich aus meinem Schatten unbedingt herausentwickeln mußte und es nicht anders konnte, als zu gehen.
Bist Du zu schwach, ist sie zu stark ist der entsprechende Spruch dazu. Sie und ihr Partner gründeten eine Familie, sie ließ sich als Ärztin nieder und ich begann mir selbst immer mehr auf die Spur zu kommen.

Ich habe dich so vermisst.“
Viele Jahre später trafen wir uns „zufällig“ auf der Frankfurter Buchmesse. Mein erster Satz war: „Ich habe dich so vermisst.“
Ich glaube nicht, dass sie mich so vermisst hat, auch aus Enttäuschung, denn Menschen die eine Beziehung nicht austragen können, kann man so nicht vermissen, oder? Sie konnte Beziehungen tragen auch in schwierigen Zeiten, mir fällt das noch schwer.
Auch in einer von ihr etwas verlangenenden Umgebung, blieb sie im Bezug zu sich selbst, sie konnte sich tragen. In der letzten Phase unserer Beziehung wurde mir klar, dass sie als der Mensch der sie war in ihren entsprechenden Lebenszusammenhängen, eine andere Verantwortungslast trug, als ich in meinen Lebenszusammenhängen. Trotz alledem war die Verbindung da.
Mir dämmert so langsam, was der tiefste Grund für unsere Verbindung gewesen sein könnte: Die Selbsterkenntnis und unser Verantwortungsgefühl dafür.

Sie ist so gegenwärtig in mir

Sie ist vier Jahre jünger als ich. Keiner kann fassen, dass sie in ihrer Lebensfreude und Präsenz plötzlich nicht mehr da ist. Das ist ein Schock für alle, die sie kannten. Immer wieder tauchen Bilder, Gespräche aus der Erinnerung herauf, oft im Hintergrund und dann wieder ganz präsent in der Gegenwart.
Wir haben uns in einer für jede von uns sehr lebendigen Zeit kennengelernt. Wir waren junge Frauen im Werden. Da war viel los. Eine Zeugin meiner Gewesenheit ist nicht mehr.

Der Verlust im Außen

Ihr Verlust erinnert mich an einen anderen großen Verlust, den ich erlebte als ich 17 Jahre alt war. Beide Menschen haben eine große Bedeutung in meinem Leben.
Ich weiß nicht was es ist, es ist aber so, dass der Verlust im Außen repräsentiert durch den Menschen der die Qualität verkörperte, die ich liebte an diesem Menschen, irgendwie in mir selber reifen möchte. Menschen, die mir so nahestehen, können nicht so verschieden von mir sein. Irre ich mich etwa ?
Einige Menschen in meinem näheren Umfeld sind bereits gestorben. Für mich viel zu früh. Bei fast allen war es so, dass mir plötzlich ihre Qualität, die vielleicht mehr als alles andere unsere Bindung ausmachte, so klar für mich erschien. Im näheren Zusammensein erblindet öfter mal der Blick für die Qualität des Anderen. Der Blick wird scharf und klar für die weniger ausbalancierten Anteile in der anderen Person.

Für mich bedeutet es Trost

Für mich bedeutet es Trost, die Qualität des nicht mehr vorhandenen Menschen in mir zu würdigen, indem ich diese Qualität so gut es geht, in mir reifen lasse. So bleibt die vermisste Person in mir lebendig. Und gleichzeitig kann das Unsichtbare dieses Menschen weiterziehen. Noch verweigere ich den Weggang meiner Freundin und es ist in Ordnung.
Ich bleibe in meinem Tempo, in meinem Vermögen, ich bin begrenzt. Die Trauer wird noch dauern.

Und genau das leben, was sie uns gegeben hat

Mein Hoffen ist, dass noch mehr Menschen als ohnehin sie gekannt haben und vor allen Dingen erkannt haben, was sie uns bedeutete. Und genau das leben, was sie uns gegeben hat.

Was ich bedaure ist, dass ich ihr nie sagte, was sie mir bedeutete

Ich nehme an, sie wußte, wie sehr ich sie mochte und mit Sicherheit auch brauchte. Brauchen ist nicht lieben. Was ich bedaure ist, dass ich ihr nie sagte, was sie mir bedeutete. Dies macht auch einen Teil meiner Trauer aus.
Diese geistige Distanz zu meinen Gefühlen hatte ich nicht.

Ich habe etwas getan

Das habe ich jetzt erkannt, und ich habe etwas getan.
Drei Menschen haben und hatten eine wichtige Bedeutung für mein Leben.
Eine davon ist nicht mehr. Den anderen beiden habe ich je einen Brief geschrieben und abgeschickt .In den Briefen stand, was sie mir bedeuteten und immer noch bedeuten.

Ich habe den Verdacht, dass da noch einige Briefe von mir geschrieben und abgeschickt werden. Es ist so wichtig für mich und vielleicht auch für die Anderen.

„Eigentlich entspricht es der Freundschaft doch eher…

… zu sagen, ich bin Deine Freundin, als Gebende, anstatt zu sagen, Du bist meine Freundin als Nehmende“ überlegte sie einmal.
Bange frage ich mich, war und konnte ich ihr eine solche gebende Freundin sein ?
Einem Freund dem ich dies erzählte, sagte : „Es ist ein Geben und Nehmen.“

Mir war dieses Ausmaß ihrer Bedeutung in meinem Leben in dieser Weite noch nie so präsent. Ich finde, Trauer verlangt viel von mir an Fühlen und Denken, Verdauen und Erneuern. In Trauer ist das Wort trauen, trau (dich), (Ver)trauen. Es ist eine Art geistiger Schwangerschaft. Nichts bleibt wie es ist und baut sich zusammen wie es ist. Ein äußerst fruchtbarer und schmerzhafter Zustand.

Es ist ein Geschenk für mich, Dir begegnet zu sein. Dein Echo bleibt.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Bernd

    Liebe Barabara,

    Du hast das so wunderbar formuliert. Auch ich durfte in den vergangenen nun 3 Jahren 2 sehr enge Freunde verlieren. Mit beiden war ich seit den frühen bzw. mittleren 20igern engstens verbunden, der eine wie ein Daddy der andere wie der grosse Bruder. Und es ging unfassbar schnell..ich bin dankbar, dass ich die letzten Wochen/Monate eng begleiten durfte, zwar virtuell weil beide mich schützen wollten vor deren Anblick…und dann im vergangenen Jahr 2 Nachbarfreunde kurz hintereinander…das führt zu Traumata und macht nachdenklich und am Ende dankbar, dass ich mit diesen Menschen Zeit verbringen durfte, viel lernen durfte, sie mich geprägt haben, ich sie inspiriert habe, dennoch bleibt diese Lücke, die sich nicht schliessen lässt – wie auch wenn die Verbindungen in den beiden ersten Fällen ein halbes Leben lang war…
    Ich kenne Deine Gefühle, Deinen Wunsch dies auszudrücken, diese Energie umzuwandeln, den Verlust am Ende dankbar zu akzeptieren…unser Leben…sind wir dankbar, dass wir uns die Zeit nehmen so zu reflektieren…ein unfassbarer Reichtunm…Kuss Bernd

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