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Einen alten Bekannten neu kennengelernt

Man könnte meinen, mir sei das Laufen abhanden gekommen. Fast alle täglichen Wege – außer zur Mülltonne – erledige ich mit dem Fahrrad.
Letzten Sonntag hat´s geschneit. Und wie. Draußen war alles weiß, bedeckt mit einer ordentlichen Schicht Schnee. Mich zog´s raus, allerdings ohne Fahrrad. Noch schnell die Winterschuhe angezogen, die mit dem ausgeprägten Profilsohlen und dann ins kühle Weiß.
Jetzt ist es so bei mir, dass Flächen die meinen Körper zu unwillkürlichen Bewegungen veranlassen, mein Bewusstsein in Angst und Schrecken versetzen. Das ist nicht bei jedem Menschen so. Eine Freundin behauptete mal, dass sie alles „liebt“ was sich unter ihren Füssen, ihrem Boden bewegt: Autos, Rollschuhe, Schlittschuhe, Ski, Motorrad, Rutschiges etc.
Ich finde, schneebedeckter Boden kann heimtückisch sein. Unter dem puscheligen Weiß befindet sich unter Umständen eine fiese, glatte Fläche, mit der mein forscher Schritt nicht gerechnet hat. Das kann Folgen haben.
Genauso war´s. Nicht nur lockerer Schnee sondern auch die glitschige Hardcore-Ausgabe von diesem erwartete mich. Im Trippelschritt bewegte ich mich mühsam vorwärts.
Ich hatte einfach keinen Bock darauf, lang hinzuschlagen.
Wie groß war da die Freude, als ich meinen Weg durch die weiten Wiesenflächen mit ihren Unebenheiten fortsetzen konnte. Weiße, ausgedehnte Weite…ich lieb´ das.
Dort, in der „weißen Ausdehnung“ traf ich unvermittelt einen alten Bekannten. Mein alter Kumpel, ich wusste gar nicht, dass das so ein Hammer-Typ ist: Mein Körper.
Auf dem Fahrrad darf er nur eine Bewegung machen. Ich finde, da kann er gar nicht richtig zeigen was er kann, der Arme. Immer unterfordert.
Das Tolle an abwechselnden, verschiedenartigen Bewegungsformen ist ja, dass das Bewusstsein angeregt wird, wieder wach zu beobachten und den Körper und seine „Sprache“ deutlicher wahrzunehmen.
Gewohnheit macht stumpf, nix Neues.
Ich nahm wahr, dass mein Körper ganz unwillkürlich sich den neuen Gegebenheiten anpasste und vollkommen darauf bedacht war, meinen internen Befehl in der Senkrechten zu bleiben, geschickt ausführte. Schneebedeckte Furchen, gelegentliche glatte Flächen, alles kein Problem. Er kann stolpern und schlittern was das Zeug hält. Und alles ohne Stress, ich kann mich total auf ihn verlassen. Auch die spürbaren Sensationen im Muskelgewebe, in den Gelenken und mein Nervensystem waren richtig auf Zack. Ich merke, ich habe ihm noch nie mein volles Vertrauen gegeben, aber seit diesem Tag weiß ich, dass er ein multikomplexes, hoch intelligentes Wesen ist…auf jeden Fall hat er mehr drauf als“Ich“.
Eine Erinnerung steigt auf, eine Textstelle aus Jörg Böckem´s Buch „Lass mich die Nacht überleben“.
Er beschreibt darin, wie er während einer sportlichen Übung stürzt. Im Sturz erkennt er, dass dieser ein Teil der ganzen Bewegung ist, auch wenn er nicht geplant war. Das nenne ich gelungene Integration. Für mich war das eine ungeheuer befreiende Beobachtung von ihm. Ich kann nichts wirklich kontrollieren, also übe ich mich im Integrieren. Macht insgesamt auch entspannter und schlauer.
„Läbbe geht weiter“, könnte man auch sagen.

Wieder was gelernt: Anstatt mich von meinem Kopfkino ablenken zu lassen, bleib ich jetzt hübsch in meinem wohltemperierten, kraftvollen, beweglichen, intelligenten Körper, meinem Fahrzeug.
Da warten sicherlich noch einige Abenteuer auf uns beide.

Rrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr…aufregend…..

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