Ich sitze auf einer Bank an einem Feldweg bei Weißkirchen.
Der Himmel ist blitzeblau, die Sonne scheint und mich ziehen die schneebedeckten Hänge des Taunus an.
Da sitze ich und sinne über den Humor. Was lässt mich ins Lachen ausbrechen ?
Neben diesen Bänken ist immer ein Mülleimer installiert . Eine Frau nähert sich und wirft ihr gebrauchtes Taschentuch Richtung Mülleimer…voll daneben . Weiß strahlt das Taschentuch auf dem Feldboden . Irgendwie kommen die Frau und ich ins Gespräch .
Ich sag zu ihr :„Ihr Papiertaschentuch liegt da noch .“
Meine neu erworbene Fähigkeit : Ungewollte Kontaktsperre oder Konflikte zu konfrontieren
Obacht: Das ist der Ausdruck meiner neu erworbenen Fähigkeit, den Abbruch von freundlichen, sympathischen Außenkontakten zu riskieren, um meinen inneren Selbstkontakt zu erhalten.
Sie : Ich weiß, ich möchte meine Schuhe nicht beschmutzen, wenn ich es jetzt aufhebe .“ Das Taschentuch lag minimal entfernt vom offiziellen Fußweg im Feld.
Ich : Aha, und dafür verschmutzen Sie die Umwelt. Interessant!“
Sie : „Die großen Verschmutzer, die werden nicht verfolgt aber mein Papiertaschentuch….“
– Ich war schon auf Humor gebürstet –
Ich : Na, die Argumentation kenn´ ich auch von mir…das machen fast alle so mit dem Finger auf Andere…aber entschuldigen Sie mal, das Papiertaschentuch können Sie doch wirklich aufheben, ohne sich die Schuhe zu verschmutzen….jetzt mal ganz ehrlich… ?“
Schweigen – innerer Kampf – offensichtlich .
Sie: “Okay, Sie haben mich überredet .“
Ich: “Ich habe Sie nicht überredet. Sie haben etwas eingesehen und handeln Ihrer Einsicht nach .“
Und denke :“Eine Transformation, sozusagen .“ Und spreche: „Sie haben sich eingelassen, Sie haben Ihren Körper utilisiert (Barbara, das Schlauerle, guckt und lauscht leidenschaftlich gern Gunther Schmidt im Auditorium Netzwerk) und Sie haben gesehen, dass Sie zu mehr fähig sind als Sie denken , ich hab´s doch gesehen .“
Nachtrag: Zum Abschied eine Umarmung, wir duzen uns jetzt , sind altersmäßig 4 Jahre auseinander , eine Generation. Ich habe ihr meine web-Adresse gegeben und das Buch von Bärbel Wardetzki „Weiblicher Narzissmus“ empfohlen .
Eine Generation, Minimum, hat diese narzisstische Wunde und einmal Buchhändlerin , immer Buchhändlerin .
Meine Frage an euch:
Kennt ihr das auch, diesen innerlichen Zwiespalt, ob ihr jetzt etwas zur anderen Person oder in der Gruppe sagen könnt, schwankend zwischen dem Wunsch der Zugehörigkeit und dem Bestreben sich selbst treu zu bleiben, mit der Befürchtung etwas zu verlieren, von dem ihr denkt ihr bräuchtet es ?
Schöne Geschichte. Dazu fällt mir folgende Begebenheit ein:
Ich habe Feierabend und ich steige ziemlich müde in die U-Bahn, die voller gestresst wirkender Menschen ist. Obwohl die Bahn sehr voll ist, bekomme ich sogar noch einen Fensterplatz in Fahrtrichtung. Eigentlich alles prima, ich kann die Fahrt bis nach Hause trotz Gedränge in der Bahn genießen.
Ich wundere mich allerdings, warum die Doppelbank nur von mir und einer anderen Person belegt ist, die mich „dumpf“ anschaut. Bald verstehe ich, warum wir die beiden Sitzbänke für uns alleine haben: Die Person, ein „normal“ aussehender Mann (vielleicht ein Schichtarbeiter von Opel denke ich noch) , kippt mit seinem Oberkörper im Zeitlupentempo nach vorne auf seine Beine, zuckt bei der Berührung zusammen und richtet sich wieder auf. Das wiederholt sich mehrere Male.
Ich denke:
-kein Wunder, dass sich niemand neben ihn setzen wollte
-was mach ich jetzt?
-nicht dass das irgendein Drogensüchtiger ist (sieht aber eigentlich gar nicht danach aus)
-oder hat er gesoffen oder kotzt mir gleich auf meine Hose (hat zwar eine Bierflasche sichtbar in seiner Jacke aber riecht nicht nach Alkohol, also eigentlich kein Risiko)
-oder geht es ihm nicht gut und er braucht einen Arzt (keine Ahnung, ist das mein Problem?)
Ich bin im Zwiespalt und irgendwie überwiegt meine Sorge, dass es ihm nicht gut geht und er Hilfe braucht. Als er beim nächsten Mal nach vorne kippt, berühre ich leicht seine rechte Schulter und fragen ihn, ob alles o.k. sei. Er schaut mich mit glasigen Augen an, die jedoch sofort klar werden, als sich unsere Augen treffen.
Danach haben wir uns richtig nett unterhalten, für einen Außenstehenden sah es wahrscheinlich so aus, dass wir uns schon lange kennen. Die Unterhaltung war an und für sich belanglos. Er sei auf Montage weit weg von seiner Familie und hat zulange gearbeitet und dann noch eine Flasche Bier getrunken; das hat zu dieser „Kipp-Aktion“ geführt. Wir waren beide sichtlich froh: Er, weil er Ansprache bekommen hat und wieder wach war. Ich, weil nix schlimmes passiert ist und ich mich getraut habe, ihn anzusprechen.
Zum Schluss haben wir uns nett verabschiedet, ich habe ihn nie wieder gesehen. Obwohl das schon mindestens 10 Jahre her, denke ich immer mal wieder an diese Begebenheit, war für mich also wichtig. Wahrscheinlich sind es die kleinen Dinge, die das Leben ausmachen. Und, dass sich das Leben in solchen Situationen „ausdehnt“: die Fahrt mit der U-Bahn hat ca. 15 Minuten gedauert – ich hatte den Eindruck, dass es tatsächlich viel viel länger gewesen ist.
„Und, dass sich das Leben in solchen Situationen „ausdehnt“: die Fahrt mit der U-Bahn hat ca. 15 Minuten gedauert – ich hatte den Eindruck, dass es tatsächlich viel viel länger gewesen ist.“
Ach, ist das eine schöne Beobachtung in die passenden Worte gekleidet. Schöne Geschichte.
Lieber Ralf,
Was ist die Essenz für dich aus diesem Erlebnis losgelöst aus diesem Erlebnis? Denn es war, so lese ich es, bedeutsam für dein inneres Erleben…nach so langer Zeit und so vielen Erfahrungen, Begegnungen und Ereignissen ?
Da war auch noch eine Frage:
Kennt ihr das auch, diesen innerlichen Zwiespalt, ob ihr jetzt etwas zur anderen Person oder in der Gruppe sagen könnt, schwankend zwischen dem Wunsch der Zugehörigkeit und dem Bestreben sich selbst treu zu bleiben, mit der Befürchtung etwas zu verlieren, von dem ihr denkt ihr bräuchtet es ?
Welche Angst hat dich zögern lassen und was hast du gewonnen durch dein Handeln?
Ich will deinen Fragen nicht ausweichen, aber ich finde, dass ich alles gesagt habe, was mir wichtig ist bzw. damals wichtig war. Klar, das kann man noch ausführlicher machen, aber warum? Ich finde, dass jedes weitere Wort unnötig ist, und meine Geschichte für sich spricht.
Zumindest etwas kann ich noch teilen, nämlich wie ich mein eigenes Handeln heute beurteile. Ich würde zu mir sagen: „Das haste richtig gut gemacht“ (was ich in meiner Erinnerung damals nicht gesagt habe)
Lieber Ralf,
das war eine Frage von MIR und die musst du nicht beantworten. Meine Fragen sind meine Angelegenheit. Das ist eines der sinnhaften Pfeiler dieses Blogs „Bleib immer hübsch bei dir“. Daher kann ich deine Reaktion voll und ganz respektieren und finde sie sogar klasse.
Aus eigener Erfahrung weiß ich, das so manche Erkenntnis in mir zusammengefasst in einen, meist kurzen Satz, eine beruhigende Handlungsanweisung in mir auslöst, eine Kongruenz/Übereinstimmung in mir bahnt, in der ich mich voller fühle, in der ich mich entwickeln kann.
Danke für deinen Kommentar.